In Ghana begann ich die Bibel zu lesen. Und nein, ich bin nicht dem Christentum beigetreten. Genauso wenig wie ich zum Islam bekehrt wurde, als ich begann, Arabisch zu lernen. 😉 aber mit meinen religiösen Ansichten will ich jetzt hier gar nicht anfangen.
Ich interessiere mich für Religion. Wenn man zu einer Minderheit gehört, die nicht den größten Weltreligionen angehört, fehlt einem schon ein Stückchen Allgemeinwissen. Und damit meine ich Wissen, dass etwas darüber hinaus geht als die Geschichte, die ich schon hundert mal zu Weihnachten in der Kirche gesehen habe. Mein Interesse beschränkt sich nicht nur auf das Christentum. Das evangelische Christentum ist sicherlich am einfachsten für mich zu verstehen, da es am weitesten verbreitet ist, da wo ich aufgewachsen bin. Aber auch der Islam, das Judentum, der Hinduismus und der Buddhismus. Allgemeinwissen. Ich weiß nicht wie viel es tatsächlich sind, aber ich schätze mal, dass vielleicht 90% der Weltbevölkerung an eine dieser Religionen glauben. Da ist es ja schon interessant, was diese ganzen Menschen als Fundament für ihren Glauben haben. Der zweite Grund, warum ich mich besser auskennen möchte – ich mag es zu diskutieren. Manche sagen, „man diskutiert nicht über Politik und Religion“. Aber leider sind das meine beiden Lieblingsthemen, also ignoriere ich mal dezent diesen Hinweis. Außerdem kommt es auch immer darauf an, wie man solche Themen angeht. Hier kommt auch der dritte Grund zum Einsatz. Ich mag es Menschen zu verstehen. Vor allem im Zusammenhang mit der Arbeit mit unseren Waisenkindern fällt es mir sehr leicht, deren stark ausgelebte christliche Religion zu verstehen, zu akzeptieren und mir sogar auch anzunehmen. Diskutieren heißt nicht streiten. Diskutieren heißt für mich vor allem zuhören, erklären, Meinungen austauschen, argumentieren und entweder einigen oder mit unterschiedlichen Meinungen, aber neuen Ansichten herausgehen. So habe ich die letzten 10 Monate sehr viel zugehört, Fragen gestellt und erklärt bekommen. Den einen oder anderen Schlagabtausch gab es auch, aber das mache ich nur bei sehr guten Freunden. Da war mein Lieblingsthema sehr oft Homosexualität, wobei mich hier die ghanaische Tonalität im negativen Sinne überrascht hat. Aber dazu ein ander mal.
Den Koran habe ich nicht begonnen zu lesen. Es lag nur ein Exemplar in arabischer Schrift bei uns im Wohnzimmer. Die Bibel habe ich zur Hand genommen, nachdem ich ein paar Wochen in Ghana war. Jeden Dienstag Abend, Freitag Abend und Sonntag Morgen ist Gottesdienst bzw. Gebet. Das findet hier zu Hause statt, unser Waisenhausleiter ist ein Pastor. Da wird dann hauptsächlich gesungen, gebetet und über ein bestimmtes Thema besprochen mit einem dazugehörigen Vers aus der Bibel. Ich wusste, dass die Reihenfolge meist Singen – Thema – Beten ist. Sodass ich mich eines Sonntag morgens entschloss, teilzunehmen und vor dem Gebet zu gehen. Gesagt, getan und ich muss sagen, ich habe viel gelernt. Es wurde ein Vers gelesen, die Bedeutung erläutert und auf aktuelle und passende Beispiele aus unserem Umfeld übertragen. Anschließend wird das Thema in den verschiedensten Formen beleuchtet, bis schließlich die Poente folgt. Hier wird den Kindern geraten, dies oder jenes nicht zu tun oder zu tun, und sich so und so in der Gesellschaft und im Umgang mit anderen zu benehmen oder nicht zu benehmen. Ich nenne es Erziehung. Für unser Waisenhaus hier ist es vor allem Erziehung. Mit Hilfe von Geschichten und Beispielen Richtig und Falsch erläutern und hoffen, dass die Kinder ein paar der Geschichten und Ratschläge behalten. Religion bedeutet in Ghana vor allem auch Gemeinschaft. Ein Tag in der Woche, an dem man mit Nachbarn zusammen kommen, singen und austauschen kann. Ein Tag in der Woche, in der alle Kinder, auch die außerhalb des Hauses wohnen, nach Hause kommen. Ein Tag in der Woche, an dem man schwierige Themen bespricht, für jemanden betet, der krank ist. Eine Stabilität. Ein Rückrat. Denn auch durch schwierige Zeiten hilft diese Gemeinschaft und der Glaube. Sei es in Form von Hoffnung, die einem ein Gebet gibt oder sei es in Form von Nahrungsmitteln, die die Kirchenmitglieder ab und an für unser Haus spenden. Viele Kirchen gründen auch Initiativen, um den Ärmeren substantiell zu helfen.
Was die Spenden anbelangt, war ich überrascht, als ich sah, dass nicht nur christliche Gemeinden und Nachbarn für unsere Kinder etwas spenden, sondern auch muslimische Nachbarn vorbeikommen und zum Beispiel zum ‚Eid’-Fest Essensspenden vorbeibringen. Obwohl weit verbreitet ist, dass unser Waisenhaus von einem Pastor geleitet wird. Dies ist nur ein Beispiel, woran deutlich wird, dass sich in Ghana der christliche und islamische Glaube ergänzen können, und nicht ausschließen. Der großartigste Vorteil meiner Meinung nach: es gibt quasi keinen Tag in der Woche, an dem alles geschlossen hat, da für die Christen Sonntag der Ruhetag und für Muslime Freitag der Ruhetag ist J Ich denke, die Ghanaer habe erkannt, dass sich beide Religionen gar nicht so uneinig sind, das alte Testament als Grundlage und arrangieren so ihren Alltag ohne Diskussion. Es gibt genauso viele Kirchen wie Moscheen, in christliche Familien heiraten muslimische Partner ein und anders herum, Schulen werben für Kinder beider Religionszugehörigkeiten und die jeweiligen Kirchengemeinden unterstützen die gesamte Gesellschaft. Auch im Sudan war es vollkommen ohne Diskussion großzügig mit Spenden zu sein, Obdachlosen Essen zu geben, an Kinderheime zu spenden oder Ähnliches. Wenn du etwas hast, teile es mit denen, die weniger haben.
Was die Bibel anbelangt, ich bin immer noch im ersten Drittel. Ich schüttele oft den Kopf, überspringe langweilige Passagen, stimme zu und lehne ab. Ich kann schon die eine oder andere übernatürliche Begebenheit glauben, aber die Evolutionstheorie ist weiterhin für mich realistischer als die Geschichten von Adam, Eva und Noah. Außerdem sträube ich mich dagegen, dass Eva aus der Rippe Adams geformt sein sollte. Vor allem weil viele diese Geschichte dazu benutzen, um zu erklären, dass die Frau nicht gleichgestellt mit dem Mann sein kann. Pff. Das ist natürlich völliger Quatsch. Im Großen und Ganzen ist das tatsächlich eines der einzigen Themen, welches mich sowohl am Islam als auch am Christentum nervt.
Männer sind Helden, Männer sind Herrscher. Männer sind schlauer. Frauen kriegen Kinder. Jungen sind besser als Mädchen. Ehemänner bestimmen Ehefrauen. Ehefrauen teilen sich einen Mann. Andersherum nicht.
So schauen wir vor allem auf unsere Mädchen hier im Haus, investieren in ihre Bildung und empowern sie, durch einen eigenen Job eigenes Geld zu verdienen, ihre Meinung zu sagen und sich nicht unterbuttern zu lassen. Ich freue mich schon diese Ärztinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen, Schneiderinnen und Pilotinnen in ein paar Jährchen vor mir stehen zu sehen. Und mit Sanatu und Silas haben sie gottseidank ein großartiges Beispiel einer fürsorglichen und gleichgestellten Ehe.
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